Früher

Aus der Chronik Ernst Klaas

Aus der Chronik Ernst Klaas
Die erste Erwähnung Herrentrups kann nach neuesten Nachforschungen aus dem Jahre2005 eindeutig auf das Jahr 1036 taxiert werden. Am 25. Mai 1036 weihte Bischof Meinwerk von Paderborn die nach dem Vorbild der Jerusalemer Grabeskirche errichtete Busdorfkirche in Paderborn. Meinwerk stattete das zugehörige Busdorfstift und seine Stiftsherren mit den Zehnten aus den jährlichen Erträgen der bischöflichen Haupthöfe und Vorwerke aus. Zur curtis dominicalis (dem herrschaftlichen Haupthof) Ogenhusen (Oeynhausen) gehörten demnach sex vorwerc (sechs Vorwerke): darunter Hardinchtorp, das heutige Herrentrup.

 

 

Der Dorfausschuss hat diese Jahresangabe auf den alten Meilensteinen am Dorfplatz verewigt.Im Landschatzregister von 1467 sind für Herrentrup 12 Eigentümer von Grundbesitz nachgewiesen, darunter der heute noch in Herrentrup vertretene Familienname Kuhlemeier.

Nach dem Salbuch von 1644 gab es in Herrentrup 4 Vollspänner, 6 Halbspänner, 3 Großkötter und 10 Kleinkötter. Noch heute finden sich im alten Ortskern von Herrentrup 4 Gebäude, die bereits vor 1644 errichtet wurden.

1690 wurde von Graf Kasimir von Brake der Saurekrug in unmittelbarer Nähe zum jetzigen Standort errichtet. Die Lage war maßgeblich durch die Nähe zur für damalige Verhältnisse vielbefahrenen Cöllnischen Landstraße begründet. 1833 wurden die alten Gebäude abgerissen und das jetzige Haupthaus neu errichtet. Dieser Neubau war aus dem schlechten baulichen Zustand der alten Gebäude heraus erforderlich, aber auch dadurch, dass durch den Ausbau der Chaussee die Cöllnische Landstraße auf der alten Trasse nicht mehr genutzt wurde. Der Saurekrug wurde um 180 Grad und war nicht mehr zum Karrweg, sondern zur 1822 gebauten neuen Chaussee hin ausgerichtet.

Die Volkszählung 1828 ermittelt für Herrentrup 277 Einwohner.

1883 wurden bei dem einzigen überlieferten Großbrand, bei dem mehrere Gebäude betroffen waren, die Höfe Harting, Meyer und das Gebäude der Familie Berghahn-Möller vernichtet. Während der Hof Meyer (jetzt Tegt) an alter Stelle an der Unteren Straße neu errichtet wurde, siedelten Hartings (jetzt Krome) in die heutige Lage In der Howe um.

Von 1926 bis 1936 gab es in Herrentrup eine Straßenbahnhaltestelle der PESAG an der Linie Bad Meinberg Blomberg.

Alte-Fotos vom Haupthaus Lohmeier (bitte anklicken)

Aus der Chronik Ernst Klaas

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Aus der Chronik Ernst Klaas

Aus der Chronik Ernst Klaas

Aus der Chronik Ernst Klaas

Herrentruper Nachrichten Nr11 – 2006 A5

Eine Postreise durch das Lippische Land 1835

Januar 2010 ArchivLippe
Es war am Tage vor Pfingsten 1835, als ich ermüdet von einer langen Fußtour in Herford – dem alten „Herevorden“, in lippischem Platt „Hervede“ genannt -, ankam. Am Turm der Neustädter Kirche grüßte aus der obersten Helmluke ein grüner Pfingstbaum. Vor den Türen der spitzgiebeligen Häuser fegte hier und dort eine Frau und putzte die in Blei gefaßten kleinen Fensterscheiben; Kinder, mit Birkenzweigen beladen, eilten durch die Stra­ßen. Am alten Markte stand schon das schwerfällige gelbe Turn- und Taxis’sche Ungetüm vorge­fahren, ein Pfingstbusch wehte am Deck, der „Schwager“ neben seinen angeschirrten vier Pferden zum Abschied­blasen parat.
Ich löste mir schnell den Bogen großen Fahr­schein mit Instruktionen bedruckt, dessen Paragraphen den Passagier belehrten, was er zu tun und zu lassen habe und daß er sich jetzt unter hohem Turn- und Taxis’schen Post­schutz befinde. Es überkam mich ein angenehmes Sicher­heitsgefühl. – Ich hatte Nr. 5, also einen Mittelplatz zwei­ter Güte. Acht Sitzplätze gab es – das Außen-Kabriolett für den Kondukteur mitgerechnet, der immer den Wagen begleitete, an den Stationen das Gepäck besorgen, an stei­len Wegstrecken den Hemmschuh anlegen mußte, den Pas­sagieren Anweisungen und Auskunft gab.
Wir fuhren ab, an altertümlichen Gebäuden, an den Wachtposten vorbei durch das Lübber Tor auf die staubige Landstraße. – Es dämmerte bereits, als der Wagen über das Pflaster der alten Salzestadt Uffeln rumpelte und endlich hielt. Am Posthause stiegen noch Passagiere ein, jeder Platz wurde besetzt. Die Dunkelheit im Wagen erlaubte nicht den Gegenübersitzenden zu erkennen, man fühlte nur seine Füße, mit denen man das „Chaisenrecht“ (das Wech­seln) halten konnte. Draußen über dem Bocksitze beleuch­tete das Kerzenlicht einer Laterne die vier Pferde und ein Stückchen der Wegstrecke. Im Wagen war es still, einige Passagiere schliefen, als plötzlich das Blasen des Postillons, der seine Lieder einübte, die stumme Gesellschaft ermunterte und ein alterer Reisender von seinen vielen Fahrten durch das Lippische „Rosenland“ zu erzählen begann.
In jener Zeit konnten sich nur Wenige eine längere Post­fahrt zum Vergnügen erlauben. Bisweilen sah man vor den Gasthöfen zurückkehrende Haudererwagen stehen, an denen mit Kreide geschrieben war: „Billige Gelegenheit nach Hameln oder nach Minden“. Eine Tour nach Han­nover war schon ein Ereignis.
Eine Fahrt durch das Lipperland hatte seine Freuden und Beschwerden. Zu Anfang vorigen Jahrhunderts kreuz­ten drei Hauptlandstraßen das Fürstentum; von Minden über Lemgo und Detmold nach Paderborn und von Rinteln über Blomberg und Schwalenberg nach Höxter und Kassel und über Barntrup nach Pyrmont und Hameln.
Stellenweise war die Steigung der Chaussee so stark, daß man sie pflasterte, wie solches z. B. an der „Gauseköte“ hinter Berlebeck auf Anordnung der Fürstin Pauline ge­schehen ist. Über diese Berge führte die alte Poststraße nach Paderborn, als die jetzige hinter Hörn zwischen den Eggestersteinen durchgehende neue Strecke noch nicht an­gelegt war. Noch steiler war die Chaussee nach Höxter hinter dem Dorfe Niese am Fuß des Köterberges, wo im Winter bei Glatteis die Passagiere vom Kondukteur er­sucht wurden, auszusteigen, „er könne gegen Umfallen des Wagens nicht garantieren!“.
Um die kostspielige Chaussee zu schonen, wurde sie in alter Zeit im Sommer gesperrt und alles Fuhrwerk auf den nebenher laufenden unchaussierten Fahrweg verwiesen, welcher noch jetzt Sommerweg genannt wird. In den früher schneereicheren Wintern kam es vor, daß die Post trotz eines Vorspannes in den Schnee-Wehen ausgesetzten Strecken nicht weiter konnte und ihren Weg über Wiesen und Felder suchen mußte. Die Ortspolizei der nahe liegen­den Dörfer bestellte dann die Stättebesitzer zum Schnee­schaufeln.
Gern benutzten die Passagiere die Gelegenheit, den an den Bergen langsam fahrenden Wagen zu Fuß zu begleiten, nach dem langen Sitzen sich mal zu strecken, mitunter auf abkürzenden Fußpfaden auf der Höhe die Post abzuwar­ten. Man pflückte Blumen und Beeren am Walde und freute sich über die weite Fernsicht in das schöne lippische Land.
Mittlerweile war der Postwagen heraufgekommen, der Kondukteur nannte den Passagieren die Namen der An­höhen, nach Süden hin die des Velmerstot, des Windmüh­lenberges bei Meinberg und der Grotenburg im Teutoburger Wald, über den hinaus noch kein Armin auf dem Denk­mal mit dem Schwerte winkte. Die Windmühlen sind verschwunden, so wie auch die auf dem Berge hinter Barntrup und die zu Fissenknick und die auf dem Tönsberge bei Oerlinghausen und hinter Wüsten; sie kennzeichneten gleichsam als Silhouette am Horizont die Umgegend als Reste eines veralteten Gewerbes.
Vor achtzig Jahren waren in den Feldmarken der Städte und Dörfer nur sehr wenige Ausbauten oder Neuwohner-stätten, selten leuchtete am Waldesrande ein einzelnes rotes Ziegeldach; den Städtern war der Hausbau außerhalb der Mauern untersagt. Weit hin streckende Huden und Heiden von kleinen Wäldchen und Buschwerk unterbrochen, scho­ben sich zwischen die Felder und Wiesen. Lange Pappelreihen umrahmten bisweilen stundenlang die älteren Land­straßen statt der Obstbäume. Das Obst hatte noch wenig Wert, konnte auch nicht so leicht und rasch versandt wer­den.
An den Chausseen standen in Stundenweite fünf Fuß hohe Steine mit Angabe der Entfernungen nach Postmeilen und gewöhnlich alle zwei Wegstunden eine Barriere, mit in Landesfarben rot und gelb gestrichener Schlagbaum, der des Nachts niedergezogen wurde. Zu beiden Seiten der Tür des Wärterhauses, in welchem sich oft eine Schenke befand, wiesen zwei lange Holztafeln die Preise nicht nur für Fuhrwerke und Reiter, auch für passierendes Vieh jeder Art.
Als vor Jahren die Wegsteuer auch im Lippischen auf­hörte, soll große Freude unter den Zugtieren gewesen sein, weil jetzt ihre Herren, die im Kruge beim Glase Zeit und Stunde vergaßen, sie nicht mehr so lange bei Hitze und Kälte draußen warten ließen.

An schönen Tagen setzte ich mich – so erzählte ein Ge­schäftsreisender – neben den Schwager auf den Bock, da sich hier bessere Rundsicht und Luft als im gedrängt vollen Wagen bot. Der Postkutscher erzählte von den häufigen blinden“ Passagieren und daß die Postillone vor den Orten und Gebüschen, aus denen plötzlich ein revidieren­der Wachtmeister vortreten konnte, das Passagier-Ver­zeichnis auf ihren Schoß unter das Spritzleder legten, um nötigenfalls rasch die betreffende Platznummer ausfüllen zu können. – Mitunter wurde von jugendlichen Reisenden auf den langen Strecken Kurzweil getrieben, der belohnte Schwager erlaubte eine kleine Pause das Reiten auf den Pferden, das Sitzen auf dem Verdeck und Blasen des Post­horns, man verstopfte es auch mal heimlich und freute sich über die gewaltige Anstrengung des Postillons, um die nötigen Signale zu trompeten. Solche besondere Zeichen mußten der Posthalterei oder Postanstalt schon in Hör­weite geblasen werden, um die Extrapostpferde für die Kaserne II – in die noch gräfliche Residenz, an deren Straßen, die abends durch öllaternen an quer überge­spannten Stricken beleuchtet wurden, noch viele altertüm­lich gebaute Bürgerhäuser, welche die Aufmerksamkeit der Postreisenden erweckten – besonders der noch ganz baum-und buschfreie Schloßplatz, auf dessen mit Kies bedecktem Boden das lippische Jägerbataillon in grüner Uniform und Tschacko mit Steinschloßgewehr seine Schritte einübte.
Seitdem ist es anders geworden in unserer neuen Zeit! -Doch jetzt biegt der Postwagen um die Ecke, an dem ur­alten ersten Seminargebäude (eine frühere Patrizier-Woh­nung) vorüber zum Postamt; der „Schwager“ bläst und meldet, die Passagiere steigen aus. – In unserer neuen Zeit erreichen sie die gräfliche – jetzt fürstliche – Residenz schneller und bequemer zu mancher Stunde bei Tag und Nacht.

Allgemeine Reisebemerkungen für Lippe von 1885
Reisezeit: Sobald der Wald anfängt zu grünen, wird die Zeit zur Reise in den Teutoburger Wald passend und bleibt es bis in den Spätherbst. Besonders schön ist der Wald in dem jungen, zarten Grün der Bäume, außerordentlich farbenprächtig aber im Herbst.

Die Reisekleidung ist nach den gewohnten Bedürfnissen zu wählen. Vor allem achte man auf bequeme, aber starke Fußbekleidung.

Reisesachen: Für den Fußgänger ist eine Seitentasche, die auch zum Tragen auf dem Rücken eingerichtet ist, zu empfehlen, besser noch ein Rucksack; Plaid, Stockschirm, Schokolade.

Reisekosten je nach den Ansprüchen; man kann sich, wenn man will oder muß, recht billig einrichten. Führer sind nicht nötig. Überall gutes Bier. – Besonderheit: Hand­käse, z. B. Hornsche u. Externbroker.

Wenn der Reisende irgendwo übervorteilt oder sonstwie belästigt wird, so bitte ich um gefl. Mitteilung seiner Be­schwerde, zur Benutzung bei späteren Auflagen.

Quelle: Lppe Anno dazumal II, Verlag F.L. Wagener, Lemgo

 

So wie vor Jahrzehnten die Lehmkarre auf der Ziegelei schiebt er jetzt die Schubkarre mit Futter fürs Vieh.

Wie war es früher? Was haben sich unsere Vorfahren dabei gedacht, wenn sie allem, was in ihrem Lebensablauf eine Rolle spielte, und wenn sie ihrem Glauben an übersinnliche Dinge in Sprichwörtern, Redensarten und Bräuchen Ausdruck verliehen? Waren sie so primitiv und rückständig, wie um dies heute oft erscheinen mag? Haben wir ein Recht, über ihre Anschauungen mitleidig oder erhaben zu lächeln?
Ich glaube dies nicht! Wollen wir gegen uns selbst ehrlich sein, dann müssen wir zugeben, dass wir unsere Ansichten und Meinungen über alles Geschehen schon sehr oft geändert haben, bestimmt öfter und in kürzeren Abständen als unsere Vorfahren dies getan haben — und auch wohl nötig hatten.
Vieles, was unseren Altvorderen wert und teuer war, ist uns in Baudenkmalen, künstlerischen und handwerklichen Arbeiten, Urkunden und Büchern erhalten geblieben. Genügt dies aber, um alles Denken, Tun und Lassen zu verstehen? Alles zu verstehen wird uns wohl nie gelingen, aber wollen wir mehr verstehen, dann müssen wir hinzunehmen, was von Mund zu Mund und von Geschlecht zu Geschlecht überliefert und in keiner Urkunde zu finden ist.
Die vorliegende Zusammenstellung soll keine Dorfchronik im eigentlichen Sinne sein, sondern eine Sammlung mündlicher Überlieferungen, Schilderung von Sitten und Gebräuchen sowie eine Wiedergabe ortsgeschichtlicher Daten und Geschehnisse, kurz all dessen, was dem Dorfleben früher Sinn und Inhalt gab. Viele Angaben werden betr. der Zeit einer strengen wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten, aber das ist in diesem Zusammenhange auch wohl nicht ausschlaggebend. Viele der Geschehnisse sind mir von verschiedenen Personen gleichlautend erzählt, wobei aber die Zeitangaben oft sehr weit auseinandergehen. Was bei einem Erzähler eine ganze Generation zurückliegt, war bei dem anderen erst vor wenigen Jahren ‘geschehen.
Bei dieser Zusammenstellung habe ich in erster Linie an mein Heimatdorf Istrup und das Blomberger Becken gedacht. Ich glaube aber nicht, dass die Sitten und Gebräuche in den anderen lippischen Dörfern und Gegenden viel von den hier geübten abwichen.
Viel altes Volksgut haben die verstorbenen Brüder Gustav und Ludwig Schöning gesammelt. Herrn Dr. Eridj Schöning danke ich recht herzlich dafür, dass er mir gestattet hat, die Arbeiten seines Vaters und seines Onkels für diese Zusammenstellung zu verwenden.
Möge diese kleine Schrift helfen, das Denken, Tun und Lassen unserer Altvorderen besser zu verstehen und zu würdigen.

 

DER GLAUBE AN ÜBERSINNLICHE DINGE

Um Brauchtum und Sitten unserer Vorfahren verstehen zu können, muss man bedenken, wie tief der Hexen- und Teufelsglaube früher im Volke verwurzelt war. Ich will deshalb zunächst einige solcher Geschichten bringen, denn nur daraus sind viele Erklärungen möglich.
Am gefürchtetsten waren die Nachtmahnen, gegen die es keine Bann- und Zaubersprüche gab und die auch sonst beherzte Männer in Angst und Schrecken versetzten. Dass die Angst vor den Nacht-mahnen größer war als vor den Hexen, hat seinen Grund mit darin, dass die Nachtmahnen Männer waren, die immer zu zweien oder dreien gingen und nur während der Nacht. Die Hexen waren Frauen und, abgesehen vom 1. Mai, Einzelgänger, die ihr Unwesen am Tage trieben.
Wie groß die Furcht vor den Nachtmahnen war, geht aus nachstehender Begebenheit, die mir von dem Sohne eines „Hollandgängers” erzählt wurde, hervor:
Zwei Hollandgänger, kräftige Männer in den besten Jahren, gingen in der Nacht durch das Emmersfeld auf Mossenberg zu, um auf dem kürzesten Wege Detmold, den Sammelpunkt der Hollandgänger, zu erreichen. Plötzlich stutzten sie, wurden kreideweiß und suchten so schnell sie konnten, das Weite. Was war geschehen? Vor ihnen waren plötzlich drei Nachtmahnen aufgetaucht, die, weiß gekleidet und auf vier Beinen gehend, auf die Männer zukamen. Diese getrauten sich nicht, an den Nachtmahnen vorbei zu gehen. Sie liefen über das Feld, um auf einem anderen Wege nach Mossenberg und von da nach Detmold zu kommen.
Eine Feldmarkbezeichnung in der Gemarkung Istrup lautete „Im krummen Acker”, der Volksmund sagte und sagt „In’n krummen Nacken” Diese letztere, und zweifellos richtige Bezeichnung ist bei der Umlegung in das Grundbuch aufgenommen worden. Hier im „Krummen Nacken” sowie den angrenzenden Feldmarken „Hellensüik” und „Gellensüik” lagen bis zur Umlegung fast ausschließlich kleinere Ackerstücke und, dadurch bedingt, gab es auch viele Furchen und Mulden, in denen die Nachtmahnen sich verstecken konnten. Wo hätten sie es wohl leichter gehabt ihr Unwesen zu treiben als hier?
Eine ältere Frau kam eines Tages ganz aufgeregt zu meinem Vater auf den Hof und sagte zu mir: „Gong diu wäg, wat eck teo verteilen häbbe, ess nicks för düi.” (Geh du weg, was ich zu erzählen habe, ist nichts für dich). Kurz darauf hörte ich meinen Vater laut lachen, und als die Frau fortgegangen war, erzählte mir mein Vater die überbrachten Heimlichkeiten. Sie hatte ihm erzählt, dass die Nachtmahnen am Werk gewesen seien und die Grenzsteine zum Ahrensmeierschen Grundstück versetzt hätten. In Wirklichkeit war es so, dass einige Grenzsteine zerbröckelt bzw. umgefallen waren. Auf Antrag der Grundstückseigentümer hatte das Vermessungsamt neue Steine gesetzt. Auf die Tätigkeit der Nachtmahnen sind bestimmt viele der Unstimmigkeiten zurüdtzuführen, die bei der Grenzrevision um die Jahrhundertwende festgestellt wurden.
Wer waren nun diese Nachtmahnen? Es waren Männer, die andere Menschen in Angst und Schrecken versetzten wollten, damit diese sie (oder auch ihre Helfer) nicht bei ihrem verbotenen Tun stören sollten. Um nicht erkannt zu werden, hingen sie sich ein weißes Laken um und gingen „up ollen Vör’n” — auf allen Vieren. Meistens handelte es sich um Feld- und Wilddiebe oder um Männer, die zum Schabernack, oder auch zum eigenen Vorteil, Grenzsteine versetzten. Stellten die Grundstückseigentümer fest, dass Grenzsteine versetzt waren, wagten sie meistens nicht, hieran etwas zu ändern. Wer konnte denn wissen, aus welchem Grunde die Steine versetzt waren? War es nicht möglich, dass einer der Vorfahren die Steine zum eigenen Vorteil versetzt und die Nachtmahnen die Sache nur wieder in Ordnung gebracht hatten? Vielleicht wollten die Nachtmahnen nur strafen, denn auch das traute man ihnen zu. Wer aber wußte, was die Nachtmahnen im Schilde führten, wenn man ihnen in der Nacht begegnete?

Alte Fachwerkhäuser in Istrup, der Heimat des Verfassers. — Links: Südgiebel der im Jahre 1811 errichteten Schule, die bis 1893 benutzt wurde. Rechts: Südgiebel des Bauernhauses auf dem Hofe Nr. 45 (Ahrensmeier). Erbaut im Jahre 1805.

Nicht so gefährlich wie die Nachtmahnen waren die Hexen, denn diese zeigten „sick oppener” — sich offener, also am Tage. Außerdem gab es gegen die Hexen Bannsprüche und andere Maßnahmen. In meiner Jugend waren hier im Dorf zwei Frauen als Hexen verschrieen. Ging eine dieser Frauen durch das Dorf, wurden in vielen Häusern Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ein Verschließen der Türen nutzte nur dann, wenn sich kein menschliches Wesen im Hause befand. Gut gegen die Hexen war, wenn man immer ein Doststräußchen im Hause hatte, denn — „De briune Dust ess den Hexen nich büwußt” — der Geruch des wilden Thymian ist den Hexen nicht angenehm. Zur Vorsicht legte man auch noch 2 Strohhalme kreuzweise unter die Matte vor der Hausoder Stubentür. Die Matte war meistens ein alter Sack.

Besonders gefährdet waren die zur Kirche gehenden Frauen. Hingen die Kirchgänger auf dem Wege zur Kirche oder auf dem Rückwege weltlichen Gedanken nach, hatten die Hexen leichtes Spiel. Die Frauen hatten in ihrem „Psalmbeoke”, wie die Gesangbücher früher genannt wurden, weil auch die beliebtesten Psalmen darin standen, immer ein „Duststruisken” — ein Sträußchen wilden Thymian, liegen. Dieses Sträußchen wurde beim Kirchgang auf das Gesangbuch gelegt, mit den gekreuzten Daumen festgehalten und vor der Brust getragen. Auch viele Männer glaubten noch an Hexen und die Abwehrkraft des wilden Thymian. Sie wollten dies aber nicht zeigen und trugen ihr Sträußchen in der Brusttasche. Den Kirchgängern wurde immer als Wunsch und Mahnung mit auf den Weg gegeben „Geo Andacht” — Gute Andacht.
Die Hexen konnten überall ihr Unwesen treiben, nirgendwo war man vor ihnen sicher. Einige Hexengeschichten mögen dies erläutern.

Einem Stättebesitzer waren die Schweine krank geworden. Als alle Hausmittel und alles Besprechen versagten, wurde der Tierarzt geholt, der aber nun auch nicht mehr helfen konnte. Die Schweine gingen ein und waren, wie konnte es anders sein, verhext. Welche der beiden Dorfhexen war wohl daran schuld? Welche war in der letzten Zeit in der Nähe des Hauses gesehen worden? Zur Vorsicht wurden beide noch mehr gemieden als bisher.
Auf dem Gute Riechenberg, das damals zur Dorfgemeinde Istrup gehörte, musste eine Kuh notgeschlachtet werden. Das kommt im Herbst öfter vor, wenn das Vieh auf dem jungen Klee geweidet wird. Wie damals üblich, wurde das Fleisch und die Rinderwürste zu einem niedrigen Preis an die Dorfbewohner verkauft. Es war selbstverständlich, dass jeder, der selber Vieh hatte, Fleisch oder Wurst kaufte, denn das gleiche Missgeschick konnte auch ihm jederzeit widerfahren. Wer aber sollte an dem trüben Herbsttage den Weg durch den Wald machen, denn dieser führte durch die „Hexenkuhle” in der Nähe des alten Wartturmes? Keines der auf dem Hofe beschäftigten Mägde wollte diesen gefährlichen Gang tun. Einer der Knechte ging dies Wagnis ein und kam auch heil zurück.

„Hexeniutdrüiwen” Hexenaustreiben war ein Brauch, der sich an jedem 1. Mai wiederholte. Schon in meiner Jugend war dies kein Hexenaustreiben mehr, nur die Bezeichnung war geblieben. Größere Schulkinder, überwiegend Jungen, verkleideten sich als Hexen, zogen mit Peitschen durch das Dorf und trieben allerlei Unfug. Sie versuchten Kinder zu schlagen, die ihnen in den Weg liefen, was ihnen aber selten
gelang, weil sie wegen ihrer Verkleidung nicht schnell laufen konnten.
Aus Erzählungen weiß ich, dass das Hexenaustreiben früher anders verlief. Der „lütke Cappelwäg” — kleiner Cappelweg, der damals noch ein Hohlweg war, war der Sammelplatz der Hexen, bei denen es sich durchweg um erwachsene Männer handelte. Von hier aus zogen sie durch das Dorf, wobei sie von den Einwohnern, auch Erwachsenen, mit Knüppeln verfolgt wurden. Letztes Wegestück war die „Häxenstrote” — Hexenstraße vom „Dreckdüike” — Dreckteich bis hinter den alten Friedhof. Hier waren die Hexen aus dem eigentlichen Dorfe heraus und die Menschen gingen, wieder um ein Erlebnis reicher, nach Hause zurück.
Nach altem Brauch mussten alle Gärten bis zum 1. Mai gegraben sein, andernfalls durften sie von den Hexen als „Danzestie” — Tanzstelle benutzt werden. Um die Hexen von den noch nicht gegrabenen Gärten fernzuhalten, wurden „Strauhdocken” — an etwa 2 m langen Stangen befestigte Strohwische, aufgestellt und mit dem Spaten Kreuze auf die ungegrabenen Flächen gezogen. Allgemein wurden diese Zeichen beachtet, aber hatten sich Frauen im Dorf unbeliebt gemacht, waren sie als faul oder geizig bekannt, nutzte weder das eine noch das andere Zeichen. Es soll vorgekommen sein, daß in solchen Fällen auch auf den bestellten Flächen getanzt wurde. Wo ist hier nach dem Volksempfinden die Grenze zwischen erlaubt und nicht erlaubt, zwischen gut und böse?
Als Spukgestalten seien noch die „Hahnejöckels” genannt, die in den „12 heiligen Nächten”, den „Twelwen”, in der Zeit vom 24. Dezember bis zum 5. Januar, ihr Unwesen trieben. Die Hahnejöckels waren gefiederte Unwesen, die den Menschen und deren Eigentum Unheil brachten, wenn sie ihnen nach Sonnenuntergang begegneten. War es in diesen 12 Nächten stürmisch oder herrschte Schneetreiben, so hieß es „De Hahnejöckels mött’t Fäddern loten”
Den Menschen war dies recht, denn dadurch wurden diese Unwesen so geschwächt, dass sie im nächsten Jahre nicht soviel Unheil anrichten konnten. War es ruhiges Wetter, so wurde gesagt: „De Hahnejöckels sind in’n Niewel togen” — sie sind im Nebel gezogen.
Weil nach der Meinung unserer Altvorderen die Sonne während dieser Zeit stillstand, durfte sich auch kein Rad drehen, die Ställe durften nicht ausgemistet und die Außentüren der Ställe nicht geöffnet werden. War dies aber gar nicht zu vermeiden, wurden aus dem schon erwähnten Grunde Doststräußchen mitgeführt.
Nun noch etwas zu den Rädern, die sich nicht drehen durften. Früher waren die Ställe sehr eng, so daß es schwierig war, den Kühen beim Kalben zu helfen. Oft wurde eine umgekippte Schiebkarre hinter die Kuh gelegt, die Stricke an die Speichen gebunden und durch Drehen des Rades auf die Radnabe gerollt. Ein Bauer hatte dieses Verfahren auch in den „Twelwen” angewandt, und deshalb wurde das Kalb auch tot geboren.

 

Kirche, Linde und Alter Krug zu Reelkirchen

Quelle: http://hermannsland.lippe2web.eu/

Kirche, Linde und Alter Krug zu Reelkirchen

Kirche, Linde und Alter Krug zu Reelkirchen

Der Blick auf den ehrwürdigen Friedhof von Reelkirchen — wie er sich auf dem Titelbild dem Beschauer darbietet — erfreut seit vielen Jahrhunderten in jedem Frühling von neuem Einheimische und Auswärtige. Hat die Kirche seit ihrem Bestehen auch einige Male Gestalt und Form verändert, sind Stamm und Äste der tausendjährigen Linde umfangreicher und knorriger im Zeitenlauf geworden, das Azurblau des Himmels, dem die Spitze des Kirchleins entgegenstrebt, die Würde, die das Gotteshaus ausstrahlt, das zarte, helle Grün der Lindenblätter, die eben erst ihre dunkle Blatthülle abgestreift haben, die Stille und die Schönheit des die Kirche umgebenden Friedhofes mit seinen Grabsteinen ziehen immer wieder zahlreiche Besucher in ihren Bann.
Wie oft mag schon die Frage nach dem wirklichen Alter der Kirche gestellt worden sein? Darauf könnte uns nur die Kirche selbst Antwort geben. Aber sie schweigt. Wir wissen nur, dass Karl der Große nach dem Sieg über die Sachsen mit der Christianisierung begann und überall in dem besiegten Lande Kirchen errichten ließ, sogenannte Urpfarreien. Um den Bewohnern den Kirchweg zu erleichtern, baute man bald weitere, die Stammkirchen, deren erste Gründungsperiode um 900 als abgeschlossen galt1).
Zu diesen Stammkirchen gehören im Wetigau auf lippischem Boden Reelkirchen und Bega.
Die erste überlieferte urkundliche Erwähnung der Pfarre datiert von 1231. Und da es keine genaueren Untersuchungsergebnisse über das Alter der hiesigen Kirche gibt, bleibt die frühmittelalterliche Geschichte des Gotteshauses vorerst auf Deutungen angewiesen.
Die erste uns bekannte Reelkirchener Persönlichkeit ist der im Jahre 1194 als Zeuge des Paderborner Bischofs auftretende Hildeboldus von Reilegenkerken2). Seine Vorfahren, die vermutlich Grundbesitz in Reelkirchen besaßen, haben vielleicht Grund und Boden des Gotteshauses gestiftet.
Was könnte sonst die Gründer bewogen haben, die Kirche für das Blomberger Becken gerade hier und nicht an einem schon reicher bevölkerten Orte der Umgebung zu errichten? Waren die verkehrsgünstige und die Hanglage des Ortes Reelkirchen die einzigen Beweggründe? Auf jeden Fall hat man den schönsten Platz gewählt.
Im Jahre 1231 ist die Einteilung des Bistums Paderborn in 6 Archidiakonate neu festgesetzt. Reelkirchen unterstand jetzt dem Archidiakonat Steinheim. Zum Pfarrbezirk Reelkirchen gehörten anfangs Reelkirchen, Herrentrup, Höntrup, Wellentrup, Istrup, Blomberg, Siebenhöfen, Tintrup, Maspe, Borkhausen, Gut Belle, Wehren und die Capelle Cappel. Mit der Stadtgründung Blombergs vor 1255 wurde Blomberg selbständig und Cappel ebenfalls noch im 13. Jahrhundert.
Der Schutzheilige unserer Kirche heißt Liborius und ist im Bogenfeld über dem nördlichen Säulenportal als Halbfigur zu sehen. Um 310 in Le Mans in Frankreich geboren, hat er sich in 50 jähriger aufopfernder Arbeit um die Kirche große Verdienste erworben. Seine Reliquien sind 836 nach Paderborn überführt, und er wurde seither bis zur Reformationszeit als Patron unserer Kirche verehrt.
Als Wehrkirche war ihr die erhöhte Lage ein besonderer Schutz. Früher hatte die Bevölkerung das Gefühl, Leben, Hab und Gut seien in der Kirche am besten aufgehoben; darum flüchtete sie in Zeiten der Not in das Innere. Die bis heute erhaltenen Schießscharten deuten auch bei unserer Kirche auf eine frühere Verteidigungsanlage hin.

Nordportal der Kirche mit der Liboriusfigur Foto: Schönlau, Quelle: Heimatland Lippe

Mehrere Bauperioden hat das Gotteshaus aufzuweisen. Der untere Teil des Turmes auf der Westseite ist vermutlich ein Stück der Urkirche. Seine quadratische Grundfläche weist ein massiges Mauerwerk von 1,50 m Stärke auf. In ziemlicher Höhe befinden sich 3 Fensterarkaden außer 2 schmalen Lichtspalten. Das Kirchendach lag früher tiefer. In Höhe der Fenster hingen die Glocken. Nun sind sie hinter den Turmdachfenstern ein Stockwerk höher angebracht. In halber Turmhöhe liegt ein rechteckiger Strahlenkranz, von dem die Sparren der unteren Turmspitze getragen werden. Den geraden Sparren der unteren Turmdachhälfte sind „krumme” Hölzer aufgelegt, um das Gerüst für des Turmes „Krinoline” zu erhalten. Nach Norden reicht das Kirchenschiff fast 2, nach Süden 1 m über den Turm hinaus. Ein vollkommener Rundbogen verbindet Turm und Schiff miteinander. Im Kirchinneren ruhen auf Pfeilern mächtige Gewölbekuppeln, die schon ein wenig gotischen Einschlag zeigen. Wie wirkungsvoll mag hier die frühere ornamentale, in lebhaften Farben gehaltene Bemalung gewesen sein! Dem Längsschiff ist nach Süden ein Querschiff angebaut, das die Orgel trägt. Nach Osten hin hat man den schmaleren Chorteil angefügt. An den Kirchenfenstern ist noch die alte rundbogige Form zu erkennen. Reich und sorgfältig ist die Steinmetzkunst im Kirchenschiff ausgeführt. Die leicht zugespitzte Form der Bögen verrät auch schon eine Spur von Gotik. Nur wenige Kirchen haben wie die unsrige einen reich profilierten Sockel an Schiff und Chor, außerdem zwei ungewöhnlich üppig verzierte Portale, von denen das südliche frühere Hauptportal später zugemauert ist. An der südlichen Außenmauer ist hier eine abgeschabte Stelle zu erblicken, von welcher der Volksmund zu berichten weiß, dass hier früher sämtliche Krieger, bevor sie in den Kampf zogen, ihre Schwerter schärften, um auf diese Weise Gottes Segen mitzunehmen.
Das Nordportal stellt mit dem um das Portal herumgeführten Sockelprofil, den beiden Säulen am Gewände, dem Bogenfeld mit Blattgerank und der schon erwähnten Halbfigur des hl. Liborius ein vorzügliches Werk spätromanischer Kunst dar. Es mögen hier auch die beiden Steinfiguren erwähnt werden, die am Chorgiebel angebracht sind: Die eine zeigt einen Löwenkopf, die andere einen Engel, der seine Arme auf ein Pult stützt. Unsere Kirche ist nach Aussagen Sachverständiger das einzige Gotteshaus in Lippe, an dem zu damaliger Zeit Ornamentsteinmetzen tätig waren.
Fachleute haben auch herausgefunden, dass der erste Um- und Erweiterungsbau um 1300 vorgenommen ist, der zweite um etwa 1587. Dass eine dritte bauliche Veränderung 1667 war, zeigt diese Zahl auf der jetzigen Kanzel mit dem Namen des Pastors Amelung Grothus und dem Spruch: „kein stummer Hund, kein beißender Hund.” Auch der jetzt entfernte Kanzeldeckel zeigte neben einer Inschrift die Jahreszahl „A. Chr. 1667″
Vermutlich hat zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Turm seine heutige Gestalt erhalten, dessen Barockhelm vielleicht nicht gut zum Unterbau paßt, aber dem Turm eine eigene Note verleiht. Im unteren Turmquadrat befinden sich heute die Gedenktafeln mit den Namen der Gefallenen und Vermißten des Kirchspiels aus beiden Weltkriegen.
Die Beseitigung der Priechen von Schiff und Chor im Jahre 1953 lassen deutlicher den spätromanischen Stil des Kirchenraumes erkennen.
Im Chorraum ist 1963 ein neues Fenster mit Farbornamenten angebracht. Seine Lichtreflexe weisen auf die Mitte des Chorraumes, wo der neue Abendmahlstisch mit dem Spruch: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn traut”, die Kirchgänger zum Abendmahl einlädt.
In den Innenwänden des Chorteils finden sich kleine und größere Nischen, die noch auf die katholische Zeit des Kirchleins hinweisen und vielleicht Sakramentshäuschen waren.
Bis vor zwei Jahren hat die 1952 von Hans Henrich Post aus Hörn gelieferte Orgel ihren Dienst getan. 1618 hat man sie ihrer Metallpfeifen und der Bälge beraubt — ein Opfer des Dreißigjährigen Krieges. Wird ihre Nachfolgerin, die 1970 von der Firma Steinmann-Vlotho erbaute neue Orgel auch solange im Dienst bleiben?
Unsere älteste Glocke stammt aus dem Jahre 1492 und trägt folgende Inschrift: „jhesus bin ick genant, min luet ist wal bekannt, de minschen rope ick to komen, tho sine seien fromen. Anno Dom. MCCCCXCII. (Sie hat den Ton e 1). Die zweite ist wie folgt beschriftet: „Ich rufe zum Gottesdienst und meld die Sterblichkeit, drum werde der mich hört zur Kirche und Todt bereit.” „Unter der Regierung mit Zustimmung des erlauchtesten Grafen und Herrn Kasimir, Grafen und sehr edlen Herrn zur Lippe, haben mich zum Lobe Gottes im Jahre 1669 Herr Ameling Grothus, Pastor; Henrich Koller, Meyer Hans zu Istorf, Kirchen-dechen, machen lassen. — Bernd Biere, Cüster.”
Ohne Jahresangabe war die dritte Glocke mit dem Ton hl (Ton gis 1). — Inschrift: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen” Für die beiden letztgenannten Bronzeglocken, die 1917 im ersten Weltkrieg abgeliefert werden mussten, sind 2 neue Stahlglocken 1922 angeschafft, deren Töne sind: gis und h 1. Wie oft mögen die Glocken geläutet haben im Lauf der Jahrhunderte bei frohen festlichen Gelegenheiten, bei Trauerfeiern oder wenn sie in Kriegs- und Feuersnot die Menschen um Hilfe riefen?
Ist Glockengeläut im Blomberger Becken auch wohl erschallt, als vor etwa 800 Jahren das Land Lippe seine Selbständigkeit durch den Edelherrn Bernhard II. erhalten hat?

Das Kircheninnere nach der letzten Renovierung. Quelle: Heimatland Lippe

Mehrere Bauperioden hat das Gotteshaus aufzuweisen. Der untere Teil des Turmes auf der Westseite ist vermutlich ein Stück der Urkirche. Seine quadratische Grundfläche weist ein massiges Mauerwerk von 1,50 m Stärke auf. In ziemlicher Höhe befinden sich 3 Fensterarkaden außer 2 schmalen Lichtspalten. Das Kirchendach lag früher tiefer. In Höhe der Fenster hingen die Glocken. Nun sind sie hinter den Turmdachfenstern ein Stockwerk höher angebracht. In halber Turmhöhe liegt ein rechteckiger Strahlenkranz, von dem die Sparren der unteren Turmspitze getragen werden. Den geraden Sparren der unteren Turmdachhälfte sind „krumme” Hölzer aufgelegt, um das Gerüst für des Turmes „Krinoline” zu erhalten. Nach Norden reicht das Kirchenschiff fast 2, nach Süden 1 m über den Turm hinaus. Ein vollkommener Rundbogen verbindet Turm und Schiff miteinander. Im Kirchinneren ruhen auf Pfeilern mächtige Gewölbekuppeln, die schon ein wenig gotischen Einschlag zeigen. Wie wirkungsvoll mag hier die frühere ornamentale, in lebhaften Farben gehaltene Bemalung gewesen sein! Dem Längsschiff ist nach Süden ein Querschiff angebaut, das die Orgel trägt. Nach Osten hin hat man den schmaleren Chorteil angefügt. An den Kirchenfenstern ist noch die alte rundbogige Form zu erkennen. Reich und sorgfältig ist die Steinmetzkunst im Kirchenschiff ausgeführt. Die leicht zugespitzte Form der Bögen verrät auch schon eine Spur von Gotik. Nur wenige Kirchen haben wie die unsrige einen reich profilierten Sockel an Schiff und Chor, außerdem zwei ungewöhnlich üppig verzierte Portale, von denen das südliche frühere Hauptportal später zugemauert ist. An der südlichen Außenmauer ist hier eine abgeschabte Stelle zu erblicken, von welcher der Volksmund zu berichten weiß, dass hier früher sämtliche Krieger, bevor sie in den Kampf zogen, ihre Schwerter schärften, um auf diese Weise Gottes Segen mitzunehmen.
Das Nordportal stellt mit dem um das Portal herumgeführten Sockelprofil, den beiden Säulen am Gewände, dem Bogenfeld mit Blattgerank und der schon erwähnten Halbfigur des hl. Liborius ein vorzügliches Werk spätromanischer Kunst dar. Es mögen hier auch die beiden Steinfiguren erwähnt werden, die am Chorgiebel angebracht sind: Die eine zeigt einen Löwenkopf, die andere einen Engel, der seine Arme auf ein Pult stützt. Unsere Kirche ist nach Aussagen Sachverständiger das einzige Gotteshaus in Lippe, an dem zu damaliger Zeit Ornamentsteinmetzen tätig waren.
Fachleute haben auch herausgefunden, dass der erste Um- und Erweiterungsbau um 1300 vorgenommen ist, der zweite um etwa 1587. Dass eine dritte bauliche Veränderung 1667 war, zeigt diese Zahl auf der jetzigen Kanzel mit dem Namen des Pastors Amelung Grothus und dem Spruch: „kein stummer Hund, kein beißender Hund.” Auch der jetzt entfernte Kanzeldeckel zeigte neben einer Inschrift die Jahreszahl „A. Chr. 1667″
Vermutlich hat zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Turm seine heutige Gestalt erhalten, dessen Barockhelm vielleicht nicht gut zum Unterbau paßt, aber dem Turm eine eigene Note verleiht. Im unteren Turmquadrat befinden sich heute die Gedenktafeln mit den Namen der Gefallenen und Vermißten des Kirchspiels aus beiden Weltkriegen.
Die Beseitigung der Priechen von Schiff und Chor im Jahre 1953 lassen deutlicher den spätromanischen Stil des Kirchenraumes erkennen.
Im Chorraum ist 1963 ein neues Fenster mit Farbornamenten angebracht. Seine Lichtreflexe weisen auf die Mitte des Chorraumes, wo der neue Abendmahlstisch mit dem Spruch: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn traut”, die Kirchgänger zum Abendmahl einlädt.
In den Innenwänden des Chorteils finden sich kleine und größere Nischen, die noch auf die katholische Zeit des Kirchleins hinweisen und vielleicht Sakramentshäuschen waren.
Bis vor zwei Jahren hat die 1952 von Hans Henrich Post aus Hörn gelieferte Orgel ihren Dienst getan. 1618 hat man sie ihrer Metallpfeifen und der Bälge beraubt — ein Opfer des Dreißigjährigen Krieges. Wird ihre Nachfolgerin, die 1970 von der Firma Steinmann-Vlotho erbaute neue Orgel auch solange im Dienst bleiben?
Unsere älteste Glocke stammt aus dem Jahre 1492 und trägt folgende Inschrift: „jhesus bin ick genant, min luet ist wal bekannt, de minschen rope ick to komen, tho sine seien fromen. Anno Dom. MCCCCXCII. (Sie hat den Ton e 1). Die zweite ist wie folgt beschriftet: „Ich rufe zum Gottesdienst und meld die Sterblichkeit, drum werde der mich hört zur Kirche und Todt bereit.” „Unter der Regierung mit Zustimmung des erlauchtesten Grafen und Herrn Kasimir, Grafen und sehr edlen Herrn zur Lippe, haben mich zum Lobe Gottes im Jahre 1669 Herr Ameling Grothus, Pastor; Henrich Koller, Meyer Hans zu Istorf, Kirchen-dechen, machen lassen. — Bernd Biere, Cüster.”
Ohne Jahresangabe war die dritte Glocke mit dem Ton hl (Ton gis 1). — Inschrift: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen” Für die beiden letztgenannten Bronzeglocken, die 1917 im ersten Weltkrieg abgeliefert werden mussten, sind 2 neue Stahlglocken 1922 angeschafft, deren Töne sind: gis und h 1. Wie oft mögen die Glocken geläutet haben im Lauf der Jahrhunderte bei frohen festlichen Gelegenheiten, bei Trauerfeiern oder wenn sie in Kriegs- und Feuersnot die Menschen um Hilfe riefen?
Ist Glockengeläut im Blomberger Becken auch wohl erschallt, als vor etwa 800 Jahren das Land Lippe seine Selbständigkeit durch den Edelherrn Bernhard II. erhalten hat?

Madonnenbildnis, dem 1430 die Kapelle von Wilbasen geweiht wurde. Heutiger Aufbewahrungsort ist das Landesmuseum in Detmold. Quelle: Heimatland Lippe

Einmal hat sich eine Taufgesellschaft bei dieser „Stärkung” so angeregt unterhalten, dass man den Säugling mitzunehmen vergaß. Erst zu Hause merkte man sein Fehlen und holte schleunigst den schlafenden Täufling nach.
An Dom- und Stiftskirchen gab es im Mittelalter kirchliche Bruderschaften, die zuerst aus Geistlichen, später auch aus Laien bestanden. Sie waren beauftragt, untereinander Seelenmessen zu lesen, Gottesdienste zu halten und für die Armen zu sorgen. In Reelkirchen gab es 4 solcher Bruderschaften, die man Kalande nannte nach dem üblichen Treffen am Monatsersten (Calendae). Sie besaßen ein großes Vermögen, so dass sie reichlich Almosen austeilen konnten. Die Bruderschaft „Liborie” besaß eine reiche Kornrente. Mit einem Gottesdienst leitete man die monatlichen Zusammenkünfte ein und beendete sie mit einer gemeinsamen Mahlzeit. Dass die letztere im Küsterkruge eingenommen wurde, ist anzunehmen. Zu Beginn der Reformationszeit lösten sich diese Bruderschaften allmählich auf.
Im Dreißigjährigen Krieg (1630) ist der ganze Krug eingeäschert worden. Daß der Krüger selbst sich Krugküster nannte, berichtet ein altes Aktenstück aus dem Jahre 1676. Noch heute gibt es dem Krug gegenüber ein Fachwerkgebäude mit der Inschrift: „Hans Caspar Krugküster 1719″ Die Bindung des Kruges an die Kirche ging verloren, als die Schule sich vom Zwang des Küsterdienstes befreite. Der Alte Krug aber besteht nach wie vor und befindet sich seit 114 Jahren im Besitz der Familie des Kaufmanns Diekmann.
Von den Pfarrern, die in Reelkirchen das Wort Gottes verkündeten, sind uns seit 1398 dreißig bekannt. Acht unter ihnen wirkten hier zu der Zeit, da die Reformation noch nicht Eingang gefunden hatte. Von dem neunten, Johann Müssmann, heißt es: „Er war der erste evangelische Pastor in Reelkirchen” von 1527 – 1562. Die große kirchliche Umwandlung machte den Pfarrern anfangs ihren Dienst recht schwer. Die ländliche Bevölkerung sträubte sich, den neuen Glauben anzunehmen und aus Trotz, so schreibt Butterweck „enthielten sich manche des Nachtmahls”
Als Graf Simon VI. mit seinem Beauftragten Dreckmeier daranging, die Kirchenlehre von allen katholischen Bräuchen zu befreien und eine neue Kirchenreform durchzuführen, begann damit die zweite Reformation in Lippe, und so wurde Lippe kalvinistisch im Jahre 1605.
In den Dörfern richtete man sich wenig nach der neuen Lehre; noch im Jahre 1618 kam sowohl für andere Kirchspiele als auch für Reelkirchen eine Anordnung: „Die Flügel auf dem Altar und andere Götzenbilder sollen mit Zuziehung der Beamten abgeschafft werden.**
Als 1. reformierter Pfarrer ist uns Adolf Latomus bekannt. Er hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Dass die Kirchenzucht in damaliger Zeit besonders scharf war, besagt folgendes: „Wegen eines Vergehens musste der Küster als Missetäter im Jahre 1590 im Büßerhemd und einem Licht in der Hand vor der Gemeinde stehen. Der Krüger von Wellentrup wurde 1713 an zwei Sonntagen an den Pranger gestellt, weil er betrunken in das Gotteshaus kam. Eine Ehebrecherin musste die Karre schieben und vor dem Presbyterium Buße tun. (Nach Butterweck).
Nach der Reformation begann die Kirchenbehörde Schulen einzurichten. Luthers Worte: „Es ist an einem Schulmeister soviel gelegen, wie an einem Pfarrer”, fanden Anklang. Kirchenakten berichten, dass bald nach 1571 auch in Reelkirchen der Versuch einer Schulgründung gemacht wurde. Den Unterricht hielten anfangs die Küster. Reelkirchens erster im Jahre 1587 nannte sich selbst Johannes Küster und war der Schwiegervater des Junkers Jost von Friesenhausen. 8) «
Von Simon Jäger sen. ist zu berichten, dass er beim Versuch, die Abendmahlsgeräte vor den Horden des Dreißigjährigen Krieges zu schützen, sein Leben lassen mußte. Sein Sohn Simon, als sein Nachfolger, stellte bei einem Disput mit dem Superintendenten Abraham Theopold-Blomberg, 1643 zum ersten Mal in der Schulgeschichte die Frage, die lange Kirche und Schule bewegt hat: „Was hat der Küster überhaupt mit der Schule zu tun? Die Schulverwaltung gehöret an die Küstereien nicht!”
Als Filiale des Sprengeis Reelkirchen galt früher die Kapelle zu Wilbasen. Schon 1146 wird nach den Lipp. Regesten Bd. I in einer Urkunde der Zehnte zu Wilbodessum erwähnt.
Graf Simon III. und seine Gemahlin stifteten 1398 in Wilbasen auf der Stätte eines alten Freistuhls eine Kapelle mit Erlaubnis des Kirchherrn zu Reelkirchen und gaben dazu 14 Stücke Land und 62 Mark, welche zum Zehnten im Reckenbruch im Herrentruper Felde gehörten. Eine Zeit lang diente die Kapelle den Edelherren zur Lippe und dem Adel der Umgebung als Familiengruft. Nach Piderits Chronik sind dort in der Folgezeit viele Kranke und Gebrechliche durch Gebete geheilt und die „Fesseln und eiserne Bande, die die Türken und andere Tyrannen armen Christen mit Gewalt anlegten, sind dort ohne Zutun abgefallen.” Die Bedeutung der Kapelle ließ mit der Stiftung des Blomberger Klosters im späten Mittelalter allmählich nach. Doch hielt bis 1620 der Pfarrer von Reelkirchen in der Kapelle zu Wilbasen für die Armen und Gebrechlichen Gottesdienste und teilte das Abendmahl aus. Im Jahre 1708 wurde die Kapelle abgebrochen.
Als Erinnerung an jene Zeit, da Wilbasen ein Teil des Sprengeis Reelkirchen war, ist uns der alljährlich im Herbst wiederkehrende Vieh- und Krammarkt geblieben, den alle Bewohner im weiten Umkreis besuchen.
Zum Schluss sei noch auf zwei Denkmäler des Titelbildes hingewiesen, die neben denen aus Sandstein dem Betrachter auffallen mögen. Es ist dem Hauptportal gegenüber ein kleiner schwarzer Marmorstein mit dem Namen des Superintendenten Werner Weßel, der von 1877 — 1904 in Reelkirchen amtierte und dessen Geschlecht 250 Jahre hervorragenden Einfluss auf das kirchliche Geschehen in Lippe hatte.

Pastor Schönfeld reitet auf seiner Liese zu einer Beerdigung. Nach einer Federzeichnung von Emil Zeiß — (Lippisches Landesmuseum Detmold). Quelle: Heimatland Lippe

Sodann zeigt uns an der Vorderwand der Kirche am Wege vor dem Haupteingang ein hohes schmiedeeisernes Kreuz die Grabstätte unseres bekanntesten und volkstümlichsten Pfarrers, Heinrich Schönfeld, der 55 Jahre von 1795 1850 in hiesiger Gemeinde wirkte. Weerth schreibt über ihn: „In Reelkirchen wohnt ein menschenfreundlicher Pastor mit kindlichem Sinn, namens Schönfeld, der der Jugend gern jedes Opfer bringt und sich bei seinem Frohsinn nicht sehr kümmert, wenn man ihn oft nicht versteht.”
Immer hatte er neue Einfälle, und sein Ideenreichtum war groß. Dass es ihm an Gottvertrauen und eigenem Mut nicht fehlte, zeigte sein tapferes Verhalten in der Neujahrsnacht 1799/1800, als er einem Überfall von 40 Räubern mehrere Stunden lang stand hielt. Viele Anekdoten und Sagen, die um sein Leben und Wirken ranken, halten die Erinnerung an diesen hervorragenden Seelsorger im Volke wach.

Heimatland Lippe: Mai 1972, Von Berta u. Heinrich Plöger

Quelle:

1) Kittel, Geschichte des Landes Lippe, 2) Erhard, Regestanhistoriae Westfaliae II, Nr. 538 a, 1194 *) Staatsarchiv Detmold: Adlige Personen und Bedienstete (16 52. S. 157).
1. Literatur: Kittel, Erich, Geschichte des Lan des Lippe-Detmold 1957
Butterweck, Geschichte d. Lipp. Landeskirche Schötmar 1926.
Gaul, Otto, Die romanische Dorfkirche in Lippe Detmold 1950.
Preuß, Otto, Die baulichen Altertümer des Landes Lippe 1873, 1881. Wiemann, August, Dorfgeschichten im lipp. Dorfkalender 1933.
Mertens, der hl. Liborius, sein Leben, seine Verehrung, seine Religion. Paderborn 1873. Plöger, H. u. B., Reelkirchen, Geschichte eines lippischen Kirchdorfes 1967
Gedruckte Quellen: Preuß und Falkmann, Lippische Regesten Lemgo u. Detmold 1860.
Ungedruckte Quellen: Kirchenbücher der ev.-ref. Kirchengemeinde Reelkirchen ab 1667.

Diese Geheimnisse verraten jahrhundertealte Pfade

Quelle: http://www.welt.de/

Was können Straßen und Wege aus dem 18. Jahrhundert schon vom Leben berichten? – Eine ganze Menge, wie der Autor Willy Gerling in seinem Buch fessttellt. Denn viele Trassen existieren heute noch.

Von Andreas Fasel
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Alte Wege erzählen mehr, als man glaubt – Autor Willy Gerking erzählt in seinem Buch von alten Wegen und wie sie vom Leben damals erzählen<br /><br />

Foto: dpaAlte Wege erzählen mehr, als man glaubt – Autor Willy Gerking erzählt in seinem Buch von alten Wegen und wie sie vom Leben damals erzählen

Besonders übel ist es um die Cöllnische Straße bestellt: die reinste Katastrophe, eine Gefahr für Leib und Leben. Erst kürzlich wieder sei „bei der Herrentruper Kuhlen“ ein Wagen „heruntergeschlagen“, so heißt es, mit der Folge, dass der Fuhrwerkslenker „sogleich das Leben eingebüßet“.

Auch der Zustand der Brücken scheint keinen Deut besser: „Ganz gebrechlich“; „der tägliche Einsturz drohet“; „kann ohne die größte Gefahr nicht mehr passieret werden“ – mit solchen Alarmschreiben versuchen die Beschwerdeführer die zuständigen Herrschaften dazu zu bewegen, endlich etwas gegen die Missstände zu unternehmen und „zu jeder Jahreszeit fahrbare Straßen durch hiesiges Land einzurichten“.

Auch wenn uns die Klage über miserable Verkehrswege und baufällige Brücken nur allzu bekannt vorkommt: Die hier angeführten Straßenzustandsberichte stammen allesamt aus dem 18. Jahrhundert und sind nachzulesen in einem soeben erschienenen Buch mit dem Titel „Alte Wege und neue Straßen in Ostlippe“ (Siedlung und Landschaft in Westfalen, Band 39).

Vom Archiv ins Gelände

 

Das äußerlich unscheinbare Werk hat es in sich: Es ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherche, die den Autor Willy Gerking erst in die Archive und schließlich ins Gelände führte. Systematisch graste Gerking die Gegend zwischen Blomberg und Lügde, Barntrup und Schieder-Schwalenberg ab.

Er suchte nach Auffälligkeiten in Luftbildern und ließ sich von Förstern zu Überresten alter Hohlwege führen. Am Ende fügte er Wegstück für Wegstück aneinander und glich den topografischen Befund mit alten Karten und historischen Quellen ab.

So entstand eine spannende Rekonstruktion eines Wegenetzes, das um einen einstmals bedeutenden Verkehrsknotenpunkt geknüpft war. Denn wenige Kilometer nordwestlich von Lügde, an der lippischen Landesgrenze, kreuzte die alte Cöllnische Straße, die Paderborn mit Hildesheim, Braunschweig und Magdeburg verband, die Bremer Straße, die von Frankfurt her kommend nach Norden führte.

Die Wege erzählen vom Leben

 

Gerking beschreibt und kartografiert aber nicht nur die genauen Streckenverläufe, sondern schildert auch das Leben auf und an den alten Wegen. Endlos wurde darum gestritten, wer die schadhaften Straßen auszubessern hatte und wer welche Zölle kassieren durfte.

Und immer wieder kam es auch zu Überfällen: So etwa im Februar 1796, als Fuhrleute einen Umweg nehmen mussten, weil ein Stück der Cöllnischen Straße wieder einmal unbefahrbar war. Plötzlich fielen 20 Bauern über das Gespann her, drohten Schläge an und ließen sich Gold und Pferde geben.

Die Erforschung der alten Wege und Straßen ist einer der Schwerpunkt der Altertumskommission für Westfalen. „Wege waren in Zeiten ohne Telefon und Internet nicht nur Verkehrswege, sondern auch Kommunikationstrassen“, erklärt Vera Brieske, Geschäftsführerin der Altertumskommission. „Und es ist interessant herauszufinden, welche Orte denn an diese Kommunikationstrassen angeschlossen waren.“

Pilger nutzten bestehende Trassen

 

Als Einstieg in die Wegeforschung boten sich die mittelalterlichen Jakobspilger an. „Denn wir haben in westfälischen Gräbern etliche Jakobsmuscheln gefunden“, erklärt Brieske. Und außerdem hatte man mit der Renaissance der Jakobspilgerei einen aktuellen Anlass, um auf die Bedeutung der alten Wege hinzuweisen. Denn selbstverständlich nutzten die mittelalterlichen Pilger bereits bestehende Verkehrsverbindungen und keine speziellen Pilgerpfade, wie leider von der touristischen Pilgervermarktung gerne suggeriert wird.

Soeben hat die westfälische Altertumskommission die Pilgerroute von Minden über Bielefeld nach Soest ausgearbeitet. Als nächstes soll noch die Strecke von Bielefeld über Warendorf und Münster nach Wesel erforscht und ausgeschildert werden.

Um den Verlauf solcher Hauptachsen des mittelalterlichen Wegenetzes tatsächlich im Gelände dingfest machen zu können, braucht man ortskundige Grundlagenforscher. Oft sind das ehrenamtliche Hobbyhistoriker. So wie Willy Gerking, 65 Jahre alt, der bis zu seiner Pensionierung Polizist war.

15 Jahre lang über Äcker gelaufen

 

Dass Gerking dennoch mit studierten Archäologen mithalten kann, bewies er bereits in den 90er-Jahren mit einer Arbeit über die Wüstungen des Kreises Lippe. Gerking war dafür 15 Jahre lang in seiner Freizeit über frisch gepflügte Äcker gelaufen und hatte nach Scherben und winzigen Ziegelkrümeln gesucht, die ihn zu längst untergegangenen Dörfern führten. Viele von diesen Siedlungen stammten aus dem 8. und 9. Jahrhundert.

Alte Straßen lassen sich hingegen nur schwer datieren. Fundstücke, deren Alter sich bestimmen ließe, sind selten. „Auch aus der Form eines Weges kann man keine Rückschlüsse auf sein Alter ziehen“, sagt Gerking. Denn ein Weg, der nur stellenweise notdürftig mit Holz und Lehm befestigt worden ist, verändert sich.

Auch die Tiefe von Hohlwegen sagt nichts über deren Alter aus. Es kann Jahrhunderte gedauert haben, bis der Weg sich tief ins Gelände eingegraben hat, es können aber auch nur Jahrzehnte gewesen sein. „Das hängt ja ganz von der Bodenbeschaffenheit und vom Verkehrsaufkommen ab“, sagt Gerking.

Interessante Trassen

 

Hohlwege sind für heutige Wegeforscher dennoch besonders interessant. Denn im offenen Flachland, auf denen die Gespanne gut voran kamen, ist von den alten Straßen oft nichts mehr zu sehen, häufig sind sie dort auch mit den heutigen Straßentrassen identisch.

An Steigungen hingegen wühlten die Zugtiere den Boden immer weiter auf, bergab musste gebremst werden, so wurde die Kerbe im Boden tiefer und tiefer. Und so entstanden im Lauf der Zeit jene markanten Bodenprofile, die noch heute in den Wäldern der Mittelgebirge zu finden sind und ahnungslose Spaziergänger oft rätseln lassen, was es damit auf sich hat.

An besonders großen Steigungen findet man häufig auch mehrere Hohlwege nebeneinander. Manche dienten als Überholspur, manche wurden angelegt, weil der ursprüngliche Weg nicht mehr befahrbar war.

Fehlender Schutz für Hohlwege

 

Und immer wieder tun sich faszinierte Laien zusammen, um solche alten Hohlwege freizulegen. Bei Horn-Bad Meinberg etwa gruben Hobbyforscher vor einigen Jahren ein Stück des alten Hornschen Weges über die Große Egge aus – und stellten fest, dass dieser Weg nicht erst durch den Gebrauch von Fuhrwerken und Zugtieren entstanden, sondern in mühsamer Arbeit in den Fels gehauen worden war. Leider, so sagt Willy Gerking, stünden die wenigsten Hohlwege unter Schutz, und so kommt es, dass sie bei Wald- und Wegearbeiten häufig zerstört werden.

Vermutlich hängt die Faszination der Hohlwege auch mit dem Grusel zusammen, der noch immer von ihnen ausgeht. In Hohlwegen gab es kein Entkommen. Wilhelm Tell erschoss den Landvogt Gessler in einem Hohlweg. Der Kölner Erzbischof Engelbert wurde 1225 in einem Hohlweg ermordet. Und die Klagen über Diebsgesindel und Räuber in Hohlwegen sind so zahlreich wie jene über den schlechten Zustand der Straßen.